Im Rahmen seiner Umweltpolitik hat Deutschland beschlossen, bis 2038 aus der Kohle auszusteigen. Viele Kohlekraftwerke werden vor dieser Frist ihren Betrieb einstellen. Evonik, ein führender Anbieter von Spezialchemikalien, hat angekündigt, dass das Kohlekraftwerk in seinem Chemiepark in Marl (Rheinland-Westfalen) 2021 stillgelegt wird.
Der Chemiepark umfasst mehrere Produktionsstätten sowie rund 15 weitere Chemieunternehmen. Zurzeit werden zwei neue Kombikraftwerke gebaut, um die Energieerzeugung zu gewährleisten, doch nach der Schließung des Kohlekraftwerks muss eine Lösung für die Entsorgung der gefährlichen Abfälle gefunden werden, die bislang mitverbrannt wurden.
Der eingeleitete ökologische Wandel erfordert die Modernisierung und Erweiterung der bestehenden Müllverbrennungsanlage sowie den Bau einer neuen Verbrennungslinie. Um dieser Herausforderung gerecht zu werden, bauen wir seit 2020 eine völlig neue Anlage zur Behandlung der im Chemiepark anfallenden gefährlichen Abfälle.


Mit der Übernahme der bestehenden Verbrennungsanlage und dem Bau der größten Verbrennungslinie Europas werden wir über eine Gesamtkapazität für die thermische Behandlung mit Energierückgewinnung von fast 250.000 t gefährlicher Abfälle pro Jahr in Deutschland verfügen. Die neue Anlage wird alle gefährlichen Abfälle aus dem Chemiepark Marl sowie die gefährlichen Abfälle von Industrieunternehmen aus der Region verarbeiten können. Die erzeugte Energie wird zu 100% im Dampfnetz des Chemieparks verwertet, wodurch die Auswirkungen von fast 100.000t CO2 pro Jahr reduziert werden können.
Um die ökologische Transformation des Chemieparks Marl zu begleiten, modernisieren wir die bestehende Verbrennungsanlage für gefährliche Abfälle und baut eine neue Verbrennungslinie. Es war von entscheidender Bedeutung, im Vorfeld Lagerkapazitäten für die im Chemiepark anfallenden flüssigen Abfälle zur späteren Entsorgung zu errichten. Dies erreichten unsere Teams in Marl mit dem Bau eines Parks mit 16 Lagertanks für verschiedene Kategorien von Flüssigabfällen mit einer Gesamtkapazität von 2800 Tonnen. Der Bau begann im August 2020 und wurde Ende 2021 mit einer rechtzeitigen Betriebsaufnahme abgeschlossen, um die Übernahme der zuvor im Kohlekraftwerk mitverbrannten flüssigen Abfälle zu gewährleisten. Eine erfolgreiche Herausforderung für das Projektteam und der erste Schritt auf dem Weg zu unserer neuen Anlage in Deutschland!


Die Bauarbeiten an der neuen Verbrennungsanlage schreiten zügig voran und die Teams erreichten Ende Oktober 2023 mit der Ankunft des neuen Drehrohrofens einen weiteren Meilenstein.
Der Ofen war im September in Bergamo (I) gestartet und legte über 6000 Kilometer über italienisches, französisches, spanisches und niederländisches Land und Wasser bis nach Rotterdam zurück, bevor er per Binnenschiff in der Nähe des Chemieparks Marl ankam.
Aussergewöhnliche Dimensionen
Tonnen
Meter lang
Meter Durchmesser
Transporttage in Europa
mobilisierte Personen
gefahrene Kilometer in Marl
gefahrene Kilometer in Europa
Tage Transport in Marl
Die Ankunft des Drehrohrofens in Marl in Bilder
Ein außergewöhnliches Projekt, ein außergewöhnliches Team!
Labor
Unser Labor in Marl ist das Herzstück für die Behandlung von gefährlichen Abfällen:
Vor der Annahme werden Abfallproben analysiert, um die sichere Handhabung zu gewährleisten. Ohne Eingangsanalysen, Mischtests und Laborgenehmigungen wird Abfall nicht akzeptiert.
Um einen optimalen und sicheren Verbrennungsprozess sicherzustellen, werden Proben entlang des gesamten Abfallwegs analysiert.
Für die Deklaration von anlagenspezifischen Abfällen werden Analysen an Materialproben durchgeführt.
Das Labor nutzt verschiedene Analysemethoden und Geräte, darunter:
Kalorimeter
Ionenchromatographie
Messung des pH-Werts
Bestimmung des Flammpunktes
Bestimmung von Salzen und Schwermetallen mittels Röntgenfluoreszenzanalyse (RFA)
Optische Emissionsspektroskopie mit induktiv gekoppeltem Plasma (ICP-OES)
Bestimmung der organischen Belastung mittels gesamtem organischem Kohlenstoff (TOC), fest und flüssig
Photometer
Quecksilberanalysator
Rotationsviskosimeter
Zentrifuge
Dynamische Differenzkalorimetrie (DSC)
Karl-Fischer-Titrator (KFT)
Trockenschränke
Einige Zahlen zum Labor:
30 bis 40 Proben pro Tag
7 bis 10 Analysen an jeder Probe (das bedeutet durchschnittlich 315 Analysen pro Tag)
Fünf Laboranten
Mit der Inbetriebnahme der neuen Verbrennungslinie wird das Analysevolumen um das Drei- bis Vierfache steigen.
Zusätzlich zu den Analysen werden vom Team Abfallmanagement folgende Aufgaben wahrgenommen:
Planung des Inputs/Outputs von behandelten Abfällen
Annahme der Abfälle
Wiegen der Abfälle
Freigabe der Abfälle

Nachbrennkammer
Ein wichtiges Element der zusätzlichen, neuen Verbrennungslinie ist die Nachbrennkammer.
Welche Funktion übernimmt die Nachbrennkammer?
- Die Nachbrennkammer befindet sich zwischen dem Drehrohrofen und dem Abhitzekessel. Ihre Hauptaufgabe ist es, eine vollständige Verbrennung der organischen Stoffe sicherzustellen.
- Die Nachbrennkammer spielt eine entscheidende Rolle im Verbrennungsprozess, indem sie nach der Hauptverbrennung zum Einsatz kommt. Die bei der Verbrennung im Drehrohrofen entstehenden Rauchgase werden in die Nachbrennkammer geleitet. Die Nachbrennkammer stellt sicher, dass alle organischen Bestandteile im Rauchgas vollständig ausbrennen. Dies geschieht bei einer behördlich vorgeschriebenen Verweilzeit von > 2 sek. bei einer Temperatur von > 1.100 °C.
- Die festen Verbrennungsrückstände (Schlacke) werden unterhalb der Nachbrennkammer aufgefangen und ausgetragen, während die Gase aufsteigen und weiter durch den Abhitzekessel zur Rauchgasreinigung geleitet werden.

Wie sah der Bauprozess aus?
- Die Errichtung der Nachbrennkammer begann mit dem Bau des Fundaments vor der Installation des Drehrohrofens. Die Komponenten der Nachbrennkammer wurden zunächst am Boden vormontiert und anschließend mit einem Kran als Ganzes in Position gebracht. Die Montage hat sechs Monate Zeit in Anspruch genommen.
- Es folgten Feuerfestarbeiten im Drehrohrofen und in der Nachbrennkammer. Diese feuerfesten Auskleidungen dienen der thermischen Isolierung.
Die neue Nachbrennkammer in Zahlen:
- Höhe: 24 Meter
- Durchmesser: 8,4 Meter
- Ausgestattet mit 2 Brennern und 8 Lanzen für flüssige heizwertarme Abfälle
- Betriebstemperatur: über 1.100 °C

Abhitzekessel
Ein wesentliches Element der zusätzlichen, neuen Verbrennungslinie ist der Abhitzekessel.
Welche Funktion übernimmt der Abhitzekessel?
- Der Abhitzekessel nutzt die Wärme der Verbrennungsgase aus der Nachbrennkammer zur Dampferzeugung.
Woraus besteht der neue Abhitzekessel?
- 1 Strahlungsteil (3 Leerzüge)
- 1 Berührungsteil, bestehend aus:
- 1 Economiser
- 2 Verdampfern
- 3 Überhitzern (Hoch-, Mittel- und Niedertemperatur)
- Naturumluftdampferzeuger auf dem Dach des Abhitzekessels
- Speisewasserbehälter auf einer Plattform neben dem Abhitzekessel

Wie funktioniert der Abhitzekessel konkret?
- Während des gesamten Prozesses wird je nach Bedarf Fabrikspeisewasser (5 bar bei 145 °C) zugeführt. Das Fabrikspeisewasser wird für die Dampfproduktion eingesetzt. Im Prozess wird dieses Wasser komplett verdampft. Es findet eine Druck- und Temperaturerhöhung statt, sodass Heißdampf produziert wird.
- Dieser Dampf (42,5 bar bei 380 °C) wird genutzt, um mittels Gegendruckturbine einen Generator anzutreiben, der elektrische Energie erzeugt.
- Der Abdampf der Gegendruckturbine wird in das 20 bar Dampfnetz des Chemiepark Marl abgegeben.
- Nachdem die bei der Verbrennung im Drehrohrofen entstehenden Rauchgase auf ihrem Weg durch den Abhitzekessel abgekühlt sind, gelangen sie in die Rauchgasreinigungsanlage. Anfallende Aschen aus dem Abhitzekessel werden ausgetragen, gesammelt und der Entsorgung zugeführt. Im Strahlungsteil geschieht dies über zwei Plattenbandförderer. Die Aschen aus dem Berührungsteil werden über einen Trogkettenförderer ausgetragen.
Der neue Abhitzekessel in Zahlen:
- Höhe: 29 m
- Länge: 31 m
- Breite Strahlungsteil: 7,5 m
- Breite Berührungsteil: 4 m
- Temperatur der einströmenden Gase: > 1.100 °C
- Temperatur der ausströmenden Gase: 245 °C
- Dampfleistung: 49,8 t/h
